DER SCHWARM

Pro und Contra

Liebe Leserin, lieber Leser, sicher haben viele von Ihnen die Serie gesehen, oder sind noch dabei. Sie löst eine Reihe weiterer, teils sehr informativer Sendungen im Fernsehen aus.

Einige dieser Informationen machen mich nachdenklich. Zum Beispiel hat ja so ein Schwarm eine „Schwarmintelligenz“, das heißt, alle einzelnen Individuen stehen miteinander in Verbindung und beeinflussen sich gegenseitig. Stare in den schwarzen Sonnen orientieren sich für jeweils drei Sekunden an den ihnen nächsten sieben anderen Staren und machen, was die machen. Deshalb geht alles so magisch synchron.

Ich überlege: wenn sich eine Gemeinde, wie letzt unter Coronabedingungen, wenig wahrnehmen kann, zerfällt der Schwarm dann? Und wenn nur wenige signalisieren, dass ihnen ihre Kirche wichtig ist, vergessen dann andere, wie bedeutsam sie auch für sie noch vor kurzem war?

Oder: Wenn unsere Gemeinden gar nicht wie ein Schwarm funktionieren, sondern eher wie ein Bienenvolk mit einer Königin, hat dann die Behinderung der pastoralen Arbeit in den letzten Jahren das Bienenvolk zerstreut? Und wird es dann nicht Zeit, dass wir umlernen und wegdenken davon, dass es auf die Bienenkönigin ankommt? Zeit zu lernen, dass es auf alle und jede/n ankommt? Zu trainieren, mehr Schwarm zu werden?

Der neue Kirchengemeinderat ist schon auf diesem Weg. Es wird in unserer Region „Kirche an der Treene“ (Mildstedt, Ostenfeld, Schwabstedt, Friedrichstadt und Koldenbüttel) in drei Jahren nur noch drei statt fünf Pastor/inn/en geben. Da müssen die Kirchengemeinderäte deutlich selbständiger, sprich „schwarmiger“ sein, damit alles weitergeht. Und auch die Gemeinde als Ganzes muss sich klar darüber sein, dass alle und jede/r Einzelne positive Signale geben müssen, damit sich das Ganze nicht auflöst – vom Winde verweht …

Oder anders: Da hat eine Forscherin untersucht, wie Demonstranten-gruppen und Polizeieinheiten sich während einer Demo als jeweilige Schwärme verhalten. Am Anfang sind die Demonstranten noch als viele kleine Gruppen, oft auch mit unterschiedlichen Meinungen, unterwegs. Da gibt es zum Beispiel die Bunten, die friedlich demonstrieren möchten, und die Schwarzen, die zu Gewalt bereit sind. Die Polizisten stehen anfangs in offenen, lose verbundenen Reihen.

Später rücken die Polizisten immer mehr zusammen. Einige sind offensiver gegen Demonstranten vorgegangen, darauf werden alle zu-nehmend von gewaltbereiten Demonstranten angegangen, auch von Friedlicheren, die sich ärgern. Also bündeln sich die Polizisten, decken sich gegenseitig den Rücken. Auch die Demonstranten verschmelzen immer mehr zu einer unüber-sichtlichen Masse. Einige auch der Friedfertigen sind in gewaltsame Begegnungen hineingeraten und fühlen sich bedroht und provoziert.
Aus einer vielfältigen, offenen Demonstration, wie sie in der Verfassung vorgesehen und von der Polizei geschützt und geordnet wird, ist so ein Kampf zweier Schwärme geworden, die gegeneinander aufbegehren. Die Einzelnen, sind nicht mehr als Einzelne kenntlich. Die Friedfertigen nicht und nicht die Gewalttätigen – auf beiden Seiten.

So, liebe Leser, entstehen Feindbilder, und so entwickeln sich Kriege. Wenden wir das auf den europäischen Ukrainekonflikt an, können wir sehr wohl unterscheiden, welche Haltung den Krieg vorantreibt und welche auf Kenntlich-Werden und Hinschauen, also Deeskalation setzt.

Können und müssen wir, als Christinnen und Christen, da nicht gegen das Schwarmverhalten unsere Rolle annehmen als Kenntliche, als solche, die auch im Gegner Menschen und Mitchristen erkennen. Ist nicht das der Friedensweg, den wir für unsere Gesellschaft und in ihr gehen müssen?

Viele Dinge, über die es nachzudenken gilt – glaubend und vertrauend trotz allem.

Herzlich Euer/Ihr Christoph Sassenhagen