Im Jahr 1675 hat Jürgen (Georg) Ovens das Altarbild der St. Christophorus-Kirche zur Ehre des einzigen, heiligsten, verdienstvollsten Retters der Welt und seiner selbst unterwürfigst gestiftet. So hat er es unter das Gemälde „Beweinung Christi“ schreiben lassen.

Tafel unterhalb des Bildes

Das Bild stellt den Moment dar, da Jesu Leichnam vom Kreuz abgenommen worden ist und eilig, weil bereits der Shabbath mit seinen Einschränkungen aller Tätigkeiten anbricht, ins Grab gelegt werden soll. Eine Einbalsamierung und das Verhüllen des Leichnams mit Binden sind nicht mehr möglich, das soll dann nach dem Shabbath, also am (Oster-) Sonntag geschehen.

Wir sehen Maria, die Mutter Jesu, ihn unter den Achseln halten. Der Mantel über der rechten Hand ist blutdurchtränkt. Sie schaut aus der Szene heraus auf das Kreuz, das schemenhaft am Felsabhang über ihr aufragt. Maria Magdalena wäscht dem Toten das Blut von Bein und Füßen, ihre Tränen sind unübersehbar.

Blut findet sich auch an den Spitzen der Dornenkrone, die rechts unten zwischen den Steinen fast unsichtbar niedergefallen ist, und an zwei Nägeln des Kreuzes, die daneben liegen.

Im Hintergrund ringt ein Jünger, zum Himmel gewandt, die Hände, eine Jüngerin betet gramgebeugt.

In der Mitte des Bildes der Engel hält die rechte Hand Jesu und tut damit das, was Gott in der Bibel dem Gerechten verspricht. Die Tränen, die er weint, sind demnach Gottes Tränen der Trauer über den Sohn.

Mit der anderen Hand weist der Engel auf die Brustwunde hin, die dem Toten mit einem Speer zugefügt wurde, um zu prüfen, ob das Blut schon gestockt, also wie beschrieben in Wasser und Blutkörperchen auseinander gefallen war. Er ist wirklich tot – das ist die Botschaft, das ist der Grund der Beweinung.

Wer das Bild betrachtet wird aber auch dazu aufgefordert, den persönlichen Anteil an diesem Geschehnis zu beweinen. Die Vignette über dem Bild nennt nämlich als Ursache unsere Schuld. Dem liegt der in der Antike fest verankerte und später in der christlichen Kirche fortgeführte Gedanke zugrunde, dass jede Schuld eine Sühne bzw. ein Opfer zum Ausgleich braucht. Da nun der gänzlich Unschuldige geopfert ist, hat er damit für die Schuld aller Menschen bezahlt. Folglich sind die Menschen von den Strafschulen gegenüber Gott durch Gott selbst befreit worden.

Tafel oberhalb des Bildes

Wem dieser Gedankengang paradox erscheint, den wird interessieren, dass schon Paulus und andere Apostel diesen Vorgang nicht juristisch verstehen sondern psychologisch. So heißt es bei Paulus, Gott habe durch den Tod Jesu die Menschen mit sich versöhnt. Der Adressat der Versöhnung ist also nicht Gott sondern der Mensch, so als seien die Menschen besessen von der Idee, dass jede Lebensnot eine strafende Schickung Gottes sei. Die Bibel beschreibt zur Zeit Jesu eine Philosphie, nach der kein Unglück unverschuldet kommt, man müsse die Ursache in eigenem, wenn auch ungewusstem Versagen suchen. In einer Art Zwangsneurose also verbindet der Mensch jedes Lebensunglück mit persönlichem Versagen oder eben Schuld. Zwangsläufig verliert er dadurch Gott, der ja als Strafender phantasiert wird, als Helfer und Retter aus dem Blick.

Diese Schuldneurose versucht Gott durch das dramatische Sühneopfer seiner selbst aufzulösen, also praktisch durch ein Gegentrauma, durch das Vergießen des eigenen Blutes.

In der Folge wird die Beziehung zwischen Mensch und Gott wieder frei für Kindschaft und Vaterschaft, für Vertrauen und Gnade, für Miteinander statt Gegeneinander.

Dieser Gott blickt auf das Leiden seiner Menschen.

Er erkennt und benennt das Unrecht, das ihnen geschieht und ergreift Partei.

Er durchleidet in Jesus unser Leiden, unsere Sterblichkeit, um ein gewisser Wegbegleiter sein zu können für uns, beglaubigt dadurch, dass er antastbar war wie wir es sind, gelitten hat wie wir leiden.

Bei Gott geborgen zu bleiben, auch gerade wenn das Leben uns durchschüttelt und bedrängt, das ist, glaube ich, die erste Voraussetzung dafür, dass wir es bestehen; dass wir fest bleiben in Herz und Mut und die Angst überwinden, sogar vor dem Tod. Selbst der nämlich kann uns von Gottes Liebe nicht trennen.

Und so erzählt sich von unserem Altarbild aus die Geschichte weiter. Der eine Beweinte ist aus dem Tod in ein weitaus größeres Leben gezogen worden als dieses hier eines ist. Und wir haben durch ihn den Weg geebnet bekommen zum ewigen Leben. Gottes Liebe hält auch uns so wie ihn damals. Gott zieht auch uns zu sich, damit wir in seiner Herrlichkeit geborgen sind. Ehe das nicht gesagt ist über uns, ist unsere Geschichte nicht fertig erzählt.

Als Jürgen Ovens sein Bild gemalt hat, war dieser Gedanke des Apostels Paulus bereits tausendsechshundertfünfunddreißig Jahre alt.

Ich möchte ihn mit unserem Altarbild verbinden, damit es zu uns spricht mit ermutigender Kraft.

Christoph Sassenhagen, Pastor der St. Christophorus Kirche